Freitag, 5. Januar 2007

Warum Gewalt?

Gewalt - ein großes Thema und eines, zu welchem es laut Wikipedia keine allgemein akzeptierte Definition gibt, was die Frage nicht einfacher macht: Woher kommt Gewalt in interaktiven Medien?
Und warum ist soviel davon da?

Die Frage, ob dem denn so ist wird hier erstmal nicht geklärt.

Vielmehr geht es mir darum festzustellen, warum Gewalt in interaktiven Medien so prominent ist wie sie es zu sein scheint. Dazu lohnt es, die zwei Hauptaspekte dieser Medien anzuschauen, Erzählung und Herausforderung/Wettkampf.

Erzählung
Vielen Beobachtern fällt die interaktive Unterhaltung als besonders gewalttätig auf.
Interessant ist dabei, dass in diesem Medium die Entstehung von Gewalt und die Entstehung der Idee, eine Geschichte zu erzählen im Grunde zusammenfällt.
Einerseits braucht Gewalt eine Legitimation - Warum bringe ich die Monster eigentlich um? - andererseits gibt es einen noch viel tieferen Aspekt, der offensichtlich wird, wenn wir uns tief in die Geschichte begeben.

Auf in die Antike.
Auf zu den Geburtswehen dessen, was wir heute als "Literatur" kennen.
In jener Zeit, in der die Frühphase der Literatur, die Lieder und Gedichte (einige davon durchaus schon gewalttätig, Sieges- und Kriegsoden), an Bedeutung verlor bzw. sich zu verändern begann und erste Epen und Balladen niedergeschrieben wurden lässt sich auch etwas anderes beobachten.
Der Aufstieg der Gewalt als Thema und Handlungsantrieb. Zumeist unreflektiert, selbstverständlich - die großen Nationalepen und religiösen Grundwerke strotzen vor Tod, Gewalt und Krieg, sei es die Odyssey, der Gilgamesch-Epos, das Rolands- oder Niebelungenlied, die Edda, die Bibel.
Allgemein geht man davon aus, es handele sich dabei um ein Merkmal der primitiven Gesellschaften denen die ersten Hochkulturen noch so nahe waren.

Doch zurück in der Zukunft sehen wir weitere Medien entstehen, allen voran den Film.
Und wieder lässt sich die frühe Entwicklung in zwei Phasen vor der Etablierung und "Normalisierung" beobachten: Auf frühe Experimente der Möglichkeiten folgt bald eine Phase, in welcher Gewalt und Sensationslust eine große Rolle spielt.
Das Selbe geschieht auch im Comic und - natürlicher, weil in der zweiten Phase nicht zensiert - im Manga.
In beiden Fällen hat die Gewalt mit der Zeit ihren Platz gefunden, ist aber nie verschwunden. Die Frage erscheint berechtigt (aber dies ist nicht der richtige Platz für die Antwort), ob Gewalt nicht am Ende eine menschliche Konstante, einen grundsätzlichen Bestandteil des menschlichen Wesens darstellt.
Film und Hörspiel konnten die Gewalt recht schnell normalisieren, weil sie auf die bereits stattgefundene Entwicklung der Literatur bauen konnten, der Comic hatte sich davon etwas mehr entkoppelt weil seine Verbindungen eher zum "Bodensatz" der Literatur gehörten, dem Pulp - wobei anzumerken ist, dass der oft verachtete "Bodensatz" schätzungsweise 95% der veröffentlichten Literatur ausmacht, einen Grund für die Hochnäsigkeit der Literatur als "vornehmstes Erzählmedium" gibt es also nicht wirklich. Sie kann nur auf ihr Alter und die statistische Wahrscheinlichkeit weniger guter Werke über die Jahrhunderte bauen.

Nun sind wir wieder in der Gegenwart, bei den interaktiven Medien.
Die ersten Veröffentlichungen sind Experimente der Möglichkeiten, von Pong bis zu Super Mario Bros. werden keine oder nur marginale Geschichten erzählt. Selbst die ersten beiden The Legend of Zelda Titel haben keine Geschichte, die sich ernsthaft als solche bezeichnen ließe.
Das Text-Adventure kann durch seine Form direkt auf den Entwicklungsstand der Literatur zugreifen, deswegen ignorieren wir es hier.
Mit der Erzählung kommt dann die Gewalt. Doom, Final Fantasy, Double Dragon hatten noch nur marginale Geschichten (ausgenommen Final Fantasy), aber alle prägte Gewalt, ob man nun Monster tötete oder angreifende Karateka.
Es ist bezeichnend, dass neben dem eher unverdächtigen (weil hochabstrakten) Rollenspiel die Entwicklung zum Spilm ihre Anfänge in den Mechaniken des Ego-Shooters (des prototypischen "Kilerspiels") und Sidescrolling Beat'em'Ups (einer Unterkategorie des Prügelspiels) nahm, tatsächlich finden die stärksten Entwicklungen zu jeder Zeit da statt, wo auch die Gewalt ein zentrales Spielelement ist.

Nur - warum?
Eine der grundsätzlichsten Regeln für eine Geschichte wurde von den Alten Griechen geprägt: Im Zentrum steht ein Konflikt. Ohne Konflikt keine Spannung, keine Handlungsursache, kein Ziel.
Und die offensichtlichste und naheliegendste Form des Konflikts ist die Gewaltausübung, der Kampf. Die Mutter aller Konflikte ist die Prügelei, später der Krieg. Die Mutter aller Konfliktlösungen ist der Sieg. Nicht ohne Grund wurde der Gordische Knoten mit einem Schwert gelöst.
Gewaltakte als Handlungsgrundlage sind in der Frühphase eines Mediums einfach die einzige Art, einen Konflikt herzustellen. Die Mittel zur Darstellung anderer Konflikte (Beziehungsstress, Selbstzweifel, Willen gg. Möglichkeiten) sind noch gar nicht entwickelt worden, das Medium muss erst seine Möglichkeiten und Mittel dazu finden.
Nicht so bei der Gewalt. Sie ist offensichtlich, lässt sich mit ebensolcher Leichtigkeit erzählen wie bildlich darstellen oder eben nachvollziehen. Gewalt ist nicht nur für Konflikte die leichte Lösung, sondern eben auch für Erzähler.
Und eben deshalb ist es in der historischen Anfangsphase eines Erzählmediums völlig selbstverständlich, gewalttätig zu sein - andere Möglichkeiten der Erzählung existieren noch überhaupt nicht.
Und noch etwas lässt sich beobachten: Die Gewalt wird bei uns bleiben. Wer ernsthaft behauptet, die heutige Belletristik sei gewaltfrei, der möge doch bitte mal ein Buch lesen. Und sich dabei daran erinnern, nicht nur die verschwindend geringe Elite zu lesen, sondern sich die Autoren vorzunehmen, die die Masse der Publikationen ausmachen: Stephen King, Dean Koontz, Tom Clancy, Andreas Eschbach, Frank Schätzing. Goethe ist eine Ausnahmefigur, nicht der qualitative Standard unter Romanautoren.

Herausforderung/Wettkampf
Nach diesen langen Ausführungen zur Gegenwart von Gewalt in allen erzählenden Medien nur kurz zum Konzept der Herausforderung: Auch hier gilt, die ursprünglichste Art der Herausforderung ist gewalttätig.
Die Olympischen Spielen der Antike waren militärische Veranstaltungen, die meisten Sportarten waren Fertigkeiten wie sie in einem Krieg gebraucht wurden.
Es steckt schon im Wortschatz des Sports mit seinen Wettkämpfen, Duellen, Mannschaften und Strategien - Sport ist nichts weiter als stilisierter Krieg.
Es verwundert, dass Softball und Ringkampf dermaßen unterschiedlich bewertet werden, geht es in beidem doch um das Selbe: Den symbolischen gewalttätigen Sieg über den Gegner. Und "Schachmatt bedeutet immer noch "Der König ist tot".

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